[Offener Brief] Psychische Versorgung Geflüchteter / Gutachten durch psychologisches Fachpersonal

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wir sind eine ehrenamtlich getragenes Begegnungscafé für Geflüchtete und Menschen, die schon länger in Salzwedel leben. In unseren ehrenamtlichen Beratungen treffen wir immer wieder Geflüchtete, die sich in einer schlechten psychischen Verfassung befinden. Viele leben in Sammelunterkünften, sind von Abschiebung bedroht und besorgt, dass das Leben in einer Sammelunterkunft leichter zu einer Infektion mit dem COVID-19-Virus führen könnte.

Für eine psychologische Unterstützung oder auch die Erstellung von psychologischen und psychotherapeutischen Stellungnahmen im Rahmen des Asylverfahrens werden Geflüchtete in Sachsen-Anhalt an das Psychosoziale Zentrum für Migrant*innen (kurz: PSZ, in Magdeburg und Halle) verwiesen. Hier sind viele Kompetenzen gebündelt. Wir haben mit Menschen gesprochen, die sich im PSZ gut betraten und psychologisch versorgt gefühlt haben. Es geht also keineswegs darum, die Arbeit des Zentrums zu kritisieren. Wir möchten stattdessen den Fokus auf den erschwerten Zugang zu diesen Hilfen setzen. Mit dem Zug von Salzwedel braucht man knapp 2 Stunden nach Magdeburg, aus anderen Landesteilen sind es oft noch längere Anfahrtswege. Neben der langen Anreise besteht das Problem, dass Menschen zur Zeit ca. ein bis eineinhalb Jahre auf einen Termin warten. Auf Grund der langen Wartezeit im Psychosozialen Zentrum vereinbarten wir für einen Geflüchteten einen Termin bei einem niedergelassenen Psychiater in Salzwedel und organisierten einen ehrenamtlichen Dolmetscher. Der Psychiater sagte uns, er dürfe keine Gutachten für Geflüchtete schreiben, in denen es um Reise-, Arbeitsfähigkeit etc. gehe. Dies widerspricht unserem Kenntnisstand.

Durch das 2019 verabschiedete Migrationspaket muss eine bestehende Erkrankung durch „eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung“ glaubhaft gemacht werden (vgl. § 60 Abs. 7 S. 2 i. V. m. § 60a Abs. 2c S. 2 und 3 AufenthG). Unseres Wissens nach dürfen dementsprechend ausschließlich Psychiater*innen Atteste bzgl. eines auslandsbezogenem Abschiebeverbot erstellen. Die Therapeut*innen des Psychosozialen Zentrums dürfen lediglich psychologische und psychotherapeutische Stellungnahmen erstellen, obgleich der Beruf des*r psychologischen Psychotherapeut*in dem der*s Fachärzt*in gleichgestellt (Bundesmantelvertrag-Ärzte). Diese werden jedoch regelmäßig nicht anerkannt und haben keine Gültigkeit vor Gericht, obwohl psychologische Stellungnahmen Hinweise liefern und Anlass zur Anordnung einer fachärztlichen Untersuchung sein können. Des Weiteren werden Traumafolgestörungen offenbar nicht von allen als schwere Erkrankungen gewertet.

Das stellt uns schlussendlich vor die Frage, wie psychisch kranke Menschen in Sachsen-Anhalt sowie auf Bundesebene eigentlich zu ihrem Recht kommen sollen, ein Abschiebehindernis überhaupt geltend machen zu können. Menschen, die psychisch krank und eventuell nicht reisefähig sind, können dies auf Grund fehlender Fachärzt*innen, die sie begutachten könnten, nicht nachweisen. Weiterhin gibt es zu wenig professionelle Unterstützung bei psychischen Belastungen und Störungen von geflüchteten Menschen in Form von Kassensitzen für niedergelassene Psychotherapeut*innen sowie Psychiater*innen, die sich für eine sprachmittlungsgestützte Behandlung öffnen. Auch viele Kliniken im Land kommen ihrem Versorgungsauftrag auf Grund unsicherer und komplizierter Finanzierung sowie transkultureller und traumatologischer Ressentiments häufig nicht nach.

Wir möchten erfragen, welche Perspektiven derzeit diesbezüglich bestehen, und um Erläuterung konkreter Vorhaben bitten, wie diese Problemlagen bekämpft werden sollen. Wir bitten um Antwort an den Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt: Kurallee 15 06114 Halle (Saale) mail: info@fluechtlingsrat-lsa.de
Mit freundlichen Grüßen Team des eXchange Salzwedel unterstützt durch das Team des Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.



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