[PM] Das ist Haft ohne Straftat!

Halle (Saale) | 05.03.2020

Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt kritisiert die Inhaftierung von Abschiebehäftlingen in Strafanstalten

Sachsen-Anhalt macht als erstes und bis dato einziges Bundesland von der Möglichkeit Gebrauch, Abschiebehaft in regulären Justizvollzugsanstalten zu vollziehen. Insgesamt werden bis zu 15 Plätze in den Untersuchungshaftbereichen der JVA Burg (Jerichower Land), Halle sowie der Jugendanstalt Raßnitz (Saalekreis) bereit gehalten. Befristet ist das Vorgehen bis 30.06.2022. Das Verfahren ist durch einen Erlass vom November 2019 geregelt und wurde Mitte Januar 2020 durch die Innen- und Justizressorts des Landes bekannt gegeben.

»Das ist in jeder Hinsicht eine fatale Entscheidung«, kommentiert Georg Schütze vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt. »Im deutschen Rechtssystem ist Freiheitsentzug in einer JVA die höchstmögliche Bestrafung. Dass nun Geflüchtete unter eben diesen Bedingungen festgehalten werden sollen, weil sie beispielsweise ihrer Ausreisepflicht nicht nachkamen, ist inakzeptabel. Ein solches Vorgehen banalisiert das empfindliche Mittel des Freiheitsentzugs – das ist ein rechtsstaatlicher Dammbruch. Wir sprechen hier über Haft ohne Straftat!«

Schon in der EU-Rückführungsrichtlinie von 2008 wurde formuliert, dass Personen in Abschiebehaft nicht zusammen mit Strafhäftlingen untergebracht werden dürfen. 2014 bestätigte auch der Europäische Gerichtshof dieses ›Trennungsgebot‹. Im Sommer 2019 hat das von Seehofer geführte Bundesinnenministerium jedoch mit dem »Geordnete-Rückkehr-Gesetz« die gesetzliche Grundlage geschaffen, dieses Gebot außer Kraft zu setzen. Rechtsanwalt Peter Fahlbusch erklärt hierzu: »Der Bund und auch das Land Sachsen-Anhalt argumentieren mit einer Notstandslage. Dieses Argument ganze zehn Jahre nach dem Inkrafttreten der Regelung zu nutzen, zeigt, dass die Begründung an den Haaren herbeigezogen ist: Es wurde eine restriktive Abschiebepolitik geschaffen, mit der man sich selbst diesen scheinbaren ›Notstand‹ herbeigezaubert hat.«

Das Vorgehen Sachsen-Anhalts verstößt klar gegen europäisches Recht. »Auch die Nutzung der U-Haft-Bereiche ist mit dem Trennungsgebot nicht vereinbar. Uns ist ein erster Fall bekannt, in dem Haftbeschwerde durch die vertretende Rechtsanwältin eingelegt wurde. Wir rechnen damit, dass die Rechtswidrigkeit festgestellt wird und erwarten, dass sich Bund und Land dadurch gezwungen sehen, den Vollzug in der JVA zu beenden«, so Schütze weiter.

Die gefährliche Symbolwirkung des Vorgehens liegt auf der Hand: Wer Zuflucht sucht, wird eingesperrt – Schutz suchende Menschen werden damit kriminalisiert.

Rechtsanwalt Fahlbusch ist der Auffassung, dass Alternativen zur Haft entwickelt werden müssen. »Statt Menschen ihre Freiheit zu entziehen, sollten verhältnismäßige Mittel Anwendung finden.« Auch er sehe die Gefahr rechtsstaatlicher Erosion, sollten andere Bundesländer Sachsen-Anhalts Beispiel folgen.

Der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V. spricht sich klar gegen erzwungene Ausreise und Abschiebehaft aus, auch unabhängig von den konkreten Bedingungen des Vollzugs.

Pressekontakt: Georg Schütze | Tel.: 0159 06 72 51 50 | georg.schuetze@fluechtlingsrat-lsa.de

200305 PM Abschiebehaft

Interview von Radio Corax mit dem Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt vom 08.03.2020



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