PM | Abschiebeforderungen des Ministerpräsidenten Haseloff nach Syrien wecken Todesängste bei den Betroffenen – Bruchstücke der Wahrheit ergeben ein völlig falsches Bild

Presseerklärung, 31.07.2018

Der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt ist bestürzt über die Einlassungen des Ministerpräsidenten Haseloff, wie sie am Montag in der Mitteldeutschen Zeitung zu lesen waren, und fordert eine Rückkehr zu nüchternen Analysen

 

Magdeburg. Die Forderung des Ministerpräsidenten nach konsequenten Abschiebungen, auch in das Bürgerkriegsland Syrien, sowie die gefährlichen Leerstellen bei der Darstellung der Anerkennungsquoten in Sachsen-Anhalt von Schutzsuchenden im Rahmen eines Sommerinterviews bedürfen dringend einer Korrektur und weiterer Erläuterungen.

Haseloff spricht von einer Anerkennungsquote in Sachsen-Anhalt nach Artikel 16 Grundgesetz von unter drei Prozent und fordert im selben Atemzug Rückführungen – »auch nach Syrien, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind.«

In Sachsen-Anhalt haben im Januar und Februar diesen Jahres 53,7% aller inhaltlich entschiedenen Anträge eine Aufenthaltsberechtigung für mindestens ein Jahr erhalten. Bundesweit ergeben die tatsächlichen Schutzquoten ein ähnliches Bild. Im ersten Quartal 2018 erhielten sogar 99,6% der inhaltlichen Entscheidungen über Asylanträge von syrischen Schutzsuchenden eine Anerkennung. Stefanie Mürbe, Sprecherin des Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt, sieht in der Darstellung des Ministerpräsidenten eine gefährliche Verzerrung der Entscheidungsrealität: »Herr Haseloff präsentiert hier einen winzigen Bruchteil der Anerkennungsquote und reißt den Artikel 16 des Grundgesetzes zudem aus seinem geschichtlichen Kontext.«

Fern von diesen frei verfügbaren Einsichten nutzt Ministerpräsident Haseloff seine Verkürzungen für die schon parolisch gewordene Forderung nach mehr Abschiebungen – auch nach Syrien. »Dass der sogenannte Isis/IS in den vergangenen Wochen erneut mehrere Städte eingenommen hat und das Assad-Regime Enteignungen im großen Stil vornimmt, blendet der Ministerpräsident aus und erzeugt dadurch eine unverantwortliche Verunsicherung bei den syrischen Schutzsuchenden in Sachsen-Anhalt. Die ersten Anrufe erreichen uns mit panischer Sorge, dass nun die ersten Abschiebungen nach Syrien geplant werden.«, so Mürbe vom Flüchtlingsrat.

Fast schon eine Nebensache wird der Hinweis, dass im Rahmen des ›Asylkompromiss‹ von 1993 – unter der Verantwortung der CDU die Zugangsmöglichkeit zum Art. 16 Grundgesetz grundlegend eingeschränkt wurde. Seitdem reicht es aus, auf der Flucht einen ›sicheren Drittstaat‹ passiert zu haben, um den Anspruch auf Asylschutz zu verwirken. Bei Deutschlands geografischer Lage bleiben da nur die Nord- und Ostsee sowie der Luftweg.

»Es steht Herrn Haseloff natürlich frei, Seehofers Seite einzunehmen. Von einem Regierungschef wünschen wir uns dennoch mehr Substanz und Faktencheck, auch kurz nach dem Urlaub. Fernab aller Polemik fordern wir eine Abkehr von der Seehofer‘schen Polterpolitik und eine Rückkehr zu nüchternen Analysen und unaufgeregter, menschenrechtsorientierter politischer Verantwortung.«, resümiert Stefanie Mürbe vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt.

Wenig rühmlich in diesem absurden Theater ist die Rolle der Mitteldeutschen Zeitung.
Nicht nur waren kritische Nachfragen knapp, auch spielten die Fragen zur Landespolitik Sachsen-Anhalts eine lediglich lückenfüllende Rolle. Darüber hinaus konnten Leser*innen im Online-Artikel über ein Abstimmungstool entscheiden, ob Syrien sicher und Abschiebungen dorthin legitim sind. Stefanie Mürbe fordert, »Dem müssen wir entschieden entgegnen: Abschiebungen sind nie legitim, vor allem nicht in ein Bürgerkriegsland und mit einem kleinen und darüber hinaus manipulierbaren Online-Plebiszit wird den MZ Lesenden suggeriert solche thumbnail of 180731_FR-ST_PM_Verantwortungslose Forderungen des MP – FR zum MZ-SommerinterviewEntscheidungen im rechtsfreien Raum treffen zu können. Syrien wird dadurch nicht sicher gemacht.«

Pressekontakt: Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt | Stefanie Mürbe | Tel. 0391 50549613

 

PRO ASYL schreibt dazu am 31.07.2018
„Sommerloch in Sachsen-Anhalt: Haseloff gräbt Forderungen nach Syrien-Abschiebungen aus“



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