Antwort der Landesregierung auf Kleine Anfrage zu Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG
Es liegt eine neue Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der GRÜNEN zum Leistungsausschluss nach §1 Abs. 4 AsylbLG (bei Dublin-Verfahren) vor: https://padoka.landtag.sachsen-anhalt.de/files/drs/wp8/drs/d6094gak.pdf
Wir möchten im Folgenden auf einige Punkte eingehen:
Der Anlage 1 ist zu entnehmen, dass nur einige Landkreise von §1 Abs. 4 AsylbLG Gebrauch machen:
Anwendung von § 1 Abs 4 S. 1 Nr. 1 AsytLG (bei sog. Anerkannten-Fällen)
Dessau (31), Harz (5), Jerichower Land (3), Salzlandkreis (15), Wittenberg (1)
Anzahl Minderjährige: nur in Dessau: 1 (3-6 J.), 8 (7-13 J.), 3 (14-17 J.)
Anwendung von § 1 Abs 4 S 1 Nr 2 AsytLG (bei sog. Dublin-Fällen)
Dessau: 34, Harz (Standort ZASt): 205, Jerichower Land: 10, Witternberg: 3
Dauer der Einschränkung im Harz bei 185 Personen seit über 3 Monaten!!!
Anzahl Minderjährige: wieder nur in Dessau: 2 (unter 3 Jahre), 8 (3-6 J.), 8 (7-13 J.)
Da wir zumindest vereinzelt auch aus anderen Landkreisen von Betroffenen des Leistungsausschluss erfahren haben, ist fraglich, warum die Angaben in allen anderen Landkreisen bei null liegen.
Aus Anlage 2 geht hervor, dass so gut wie keine! Leistungen zur Überwindung besonderer Härten gewährt wurden und gar keine! zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern.
Anlage 3: sehr wenige Widerspruchs- und Klageverfahren:
nur in Dessau und im Harz; 6 Klageverfahren in Dessau gegen § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AsylbLG, davon waren 5, über die entschieden wurde, erfolgreich bzw. teilweise erfolgreich.
Erstaunlich ist die Antwort der Landesregierung auf Frage 16: Es bestünden trotz eindeutiger Rechtsprechung keine Zweifel an der Europarechtskonformität, was mit der Umsetzung der GEAS-Reform begründet wird – ohne zu erwähnen, dass das GEAS-Anpassungsgetz und GEAS-Anpassungsfolgegesetz ja noch im Gesetzgebungsverfahren ist:
„Bezogen auf die Europarechtskonformität ist darauf hinzuweisen, dass die Neuregelung in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG Artikel 21 der Richtlinie (EU) 2024/1346 vom 14. Mai 2024 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, in deutsches Recht umsetzt.“
Siehe dazu PRO ASYL: „Menschen vollständig von Sozialleistungen auszuschließen, ist nicht nur mit der derzeit geltenden, sondern auch mit der neuen EU-Aufnahmerichtlinie nicht in Einklang zu bringen, die bis zum Juni 2026 umgesetzt werden muss. Zwar sieht Art. 21 der Aufnahmerichtlinie vor, dass Menschen ab dem Zeitpunkt der Mitteilung, dass sie in den zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden sollen, auch nur noch in diesem Staat Anspruch auf Sozialleistungen haben sollen. Gleichzeitig ist aber in Art. 21 der Aufnahmerichtlinie die »Notwendigkeit, einen Lebensstandard im Einklang mit dem Unionsrecht, einschließlich der Charta, und internationalen Verpflichtungen sicherzustellen« vorgegeben. Diese Verpflichtung ist in Art. 18 Abs. 1 Asyl- und Management-Verordnung (dem Nachfolger der sogenannten Dublin-Verordnung) gleichlautend formuliert.
Insbesondere die weitgehende Verweigerung einer Gesundheitsversorgung ist mit dem künftigen EU-Recht nicht vereinbar: Nach Art. 22 der Aufnahmerichtlinie kann nämlich die Gesundheitsversorgung zwar in bestimmten Fällen auf eine Notversorgung reduziert, aber nicht gänzlich unterlassen werden – und selbst die mögliche Reduzierung darf nicht auf Minderjährige und Personen mit besonderen Bedarfen angewendet werden. Alte, Kranke, durch Gewalt traumatisierte Menschen, Schwangere und andere hätten mit der GEAS-Umsetzung von allen Kürzungen im Gesundheitsbereich ausgenommen werden müssen – wurden sie aber nicht.
Neben der Unvereinbarkeit mit dem EU-Recht bleibt im Kern: Sozialrechtliche Leistungsstreichungen im existenziellen Bereich stellen ein Bruch der Verfassung dar.“
Auf die Verfassungsmäßigkeit geht die Landesregierung in ihrer Antwort gar nicht ein.
Bei dieser Gelegenheit möchten wir auf die neuesten Entwicklungen bei dem Thema hinweisen . Wir zitieren aus dem HRRF-Newsletter:
„Zum einen hat der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen die deutsche Bundesregierung mit Schreiben vom 17. Oktober 2025 dazu aufgefordert, dem in Thüringen lebenden Beschwerdeführer in dem UN-Individualbeschwerdeverfahren gegen die Dublin-Leistungseinstellung umgehend eine Unterkunft, Gesundheitsversorgung und jedenfalls Leistungen zu gewähren, die dem Existenzminimum entsprechen. Außerdem wurde die Bundesregierung aufgefordert, zu der Individualbeschwerde Stellung zu nehmen. Die Individualbeschwerde wird von der Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützt.
Zum anderen hat der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C-621/24 am 23. Oktober 2025 argumentiert, dass die EU-Aufnahmerichtlinie es nicht erlaubt, Antragsteller auf internationalen Schutz automatisch von Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Kleidung und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts auszuschließen, nur weil in ihrem Fall eine Überstellungsentscheidung gemäß der Dublin-III-Verordnung erlassen wurde. Das Verfahren geht auf ein Vorabentscheidungsersuchen des deutschen Bundessozialgerichts aus dem September 2024 zurück.“

