Kommentar zum Erlass zum Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG

Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt hat am 22.8.25 Anwendungshinweise zum Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG an die lokalen Behörden versandt. Bevor wir auf Details eingehen, möchten wir noch mal grundsätzlich anmerken:

Diese Leistungskürzungen sind unseres Erachtens EU-rechtswidrig (EU-Aufnahmerichtlinie) und verfassungswidrig. Es sollte daher bei Leistungskürzungen unbedingt sofort Widerspruch eingelegt und gleichzeitig Eilantrag beim zuständigen Sozialgericht gestellt werden, damit die Leistungen zeitnah mindestens vorläufig weiter gezahlt werden. Im Fall der Ablehnung des Widerspruchs wäre dann beim Sozialgericht Klage zu erheben. Klagen beim Sozialgericht sind kostenlos und erfordern nicht unbedingt Rechtsbeistand. Genaueres dazu gibt es in der Arbeitshilfe der Diakonie Hessen.

Oftmals sind die Leistungskürzungen schon aus formalen Gründen rechtswidrig und sind allein deshalb zu beanstanden: Da es sich bei den Leistungsstreichungen um einen sog. belastenden Verwaltungsakt handelt, ist den Betroffenen gem. § 28 VwVfG „Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern“. Anschließend müsste dann ein schriftlicher rechtsmittelfähiger Bescheid ergehen, der die Leistungsstreichung begründet. Ist dies nicht beachtet worden, ist die Leistungsstreichung bereits aus formalen Gründen angreifbar.

In mindestens 60 Eilbeschlüssen haben Sozialgerichte mittlerweile die Unzulässigkeit des Leistungsausschlusses gem. §1 Abs.4 Nr.2 AsylbLG (Dublin-Fälle) festgestellt. Hier gibt es die aktualisierte Übersicht der GGUA. Man kann insofern mittlerweile von einer gefestigten Rechtsprechung der Sozialgerichte – jedenfalls in Eilverfahren – sprechen.

Das SG Magdeburg hat in mind. zwei Fällen in Eilverfahren entschieden, dass verfassungsrechtliche und europarechtliche Bedenke bestehen. Im Beschluss vom 9.7.25 führt das Gericht neben grundsätzlichen Bedenken außerdem an, dass der Einstellungsbescheid formell rechtswidrig ist, da dieser keine ausreichende Begründung enthält und sich der Leistungsausschluss auch auf die Vergangenheit bezieht. Auch dies dürfte in der Praxis häufiger der Fall sein. Außerdem verweist das Gericht auf die Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen, dass ein Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 S 1 Nr. 2 AsylbLG voraussetzt, dass der betreffenden Person die freiwillige Ausreise in den für das Asylverfahren an sich zuständigen Mitgliedsstaat rechtlich und tatsächlich möglich ist. Hier bestätigt auch der Erlass, dass eine freiwillige Ausreise im Dublin-III Überstellungsverfahren grundsätzlich nicht vorgesehen ist und die Überstellung im Rahmen eines behördlichen Verfahrens erfolgen soll. Der Landkreis Harz hat gegen den Beschluss des Sozialgerichts Beschwerde erhoben, so dass bald mit einer Positionierung des Landessozialgericht gerechnet werden kann.

Auf folgende Punkte aus dem Erlass möchten wir besonders hinweisen:

Der Erlass stellt ähnlich wie in einem Schreiben des BMI explizit klar:

„In Dublin-Fällen mit Zielstaat Griechenland oder Italien ist daher ein Leistungsausschluss derzeit nicht möglich.“
„Hintergrund ist, dass bei diesen Ländern, auch wenn sie eine Zustimmung zur Übernahme erteilt haben, in dem Großteil der Fälle zu erwarten ist, dass die sich anschließende Überstellung tatsächlich scheitern wird.“ (S. 3)

Außerdem wichtig: Auch wenn es an anderer Stelle heißt, dass der Leistungsausschluss sofort mit der Abschiebungsanordnung des BAMF greift, stellt der Erlass richtig fest, dass die tatsächliche Ausreisemöglichkeit gegeben sein muss:

„Aus den vorstehenden Ausführungen und dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich, dass ein Leistungsausschluss ab dem Zeitpunkt verfügt werden kann, ab dem sich die tatsächliche Ausreisemöglichkeit im Überstellungsprozess so weit verdichtet hat, dass eine Überstellung konkret absehbar ist. Davon ist dann auszugehen, wenn die Organisation der behördlichen Überstellung so weit abgeschlossen ist, dass die Ausreise nur noch von der zumutbaren Mitwirkung der zu überstellenden Person abhängt. Das ist der Fall, wenn der zuständigen Ausländerbehörde der konkrete Überstellungstermin und die weiteren Überstellungsmodalitäten durch das Zentrale Rückkehrmanagement des LVwA mitgeteilt worden sind.“ (S. 4/5)

Unzureichend ist der Erlass hinsichtlich der Berücksichtigung besonderer Härten:

„Leistungen zur Deckung des notwendigen persönlichen Bedarfs nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG sowie sonstige Leistungen nach § 6 AsylbLG können somit nicht als Härtefallleistungen gewährt werden. Lediglich besondere Bedürfnisse von Kindern, hierunter fallen alle Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, können im Rahmen der Leistungsgewährung Berücksichtigung finden.“ (S. 6)

Bei Kindern muss es statt „können“ „müssen“ heißen. Kinder müssen immer Anspruch auf ungekürzte Leistungen und eine uneingeschränkte Gesundheitsversorgung haben. Das Kindeswohl muss an erster Stelle stehen, außerdem können sie ihren Aufenthaltsort nicht selbst bestimmen und sich das Verhalten der Eltern nicht zurechnen lassen müssen. Es gibt keine Sippenhaftung.

Auch bei Personen mit besonderen Schutzbedarfen nach EU-AufnRL müssen besondere Härten berücksichtigt werden. Diese sollten im Erlass ebenfalls explizit genannt werden.



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