[Info] BAMF verweigert Schutz nach Beschlagnahmung von Asylakten durch den türkischen Geheimdienst

[Pressemitteilung des Flüchtlingsrat Niedersachsen, 29.11.2021]

Das BAMF spielt bis heute die Gefährdung türkischer und kurdischer Asylsuchender nach der Beschlagnahmung von Asylakten durch den türkischen Geheimdienst bei einem Vertrauensanwalt der deutschen Botschaft im November 2019 herunter. Entgegen den ursprünglich gemachten Versprechen ist nicht gewährleistet, dass die Betroffenen wirkungsvoll geschützt werden. In etlichen Fällen erfahren Geflüchtete verspätet und nur zufällig davon, dass auch ihre Unterlagen beim türkischen Geheimdienst gelandet sind. Zu befürchten ist, dass etliche Betroffene von Abschiebung bedroht sind oder gar abgeschoben wurden.

Mit Urteil vom 13.09.2021, Az.: 7 A 482/17 MD, hat das Verwaltungsgericht Magdeburg das Bundesamt verpflichtet, dem kurdischen Flüchtling T. die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Dessen Asylakte fiel den türkischen Verfolgungsbehörden in die Hände, als der türkischen Vertrauensanwalt der Deutschen Botschaft A. in der Türkei mit dem Vorwurf, für Deutschland und andere europäische Staaten Spionage zu betreiben, verhaftet wurde. Das BAMF hatte den Asylantrag des Mannes zuvor abgelehnt und sich auch nach Vorlage eines vom Verwaltungsgericht Magdeburg eingeholten ausführlichen Gutachtens der Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 27.04.2021 geweigert, dem Kurden die Flüchtlingsanerkennung zuzusprechen. Mit seiner Entscheidung stellt das Verwaltungsgericht Magdeburg nun klar:

„Nach der vom Gericht eingeholten Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 27.04.2021 ist bei belastenden Informationen zu betroffenen Personen in den Akten des Kooperationsanwaltes … von einem klaren Risiko einer Strafverfolgung auszugehen.“

Die Zahlen, die das Bundesinnenministerium hinsichtlich der noch betroffenen Flüchtlingen nennt, stimmen offenkundig nicht. Das Bundesinnenministerium hatte auf eine parlamentarische Anfrage hin mitgeteilt, dass es nur noch zwei Betroffene gäbe, die noch keinen Status hätten. Diese Zahl ist nachweislich falsch. Allein im Büro von Rechtsanwalt Kelloglu und Partner werden aktuell fünf anhängige Verfahren betrieben.

Wir fordern das Bundesinnenministerium auf, a l l e n Geflüchteten, deren Asylakten dem türkischen Geheimdienst in die Hände gefallen sind, einen Flüchtlingsschutz zuzubilligen.

Hintergrund

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die deutschen Verwaltungsgerichte haben bis 2019 in mehreren tausend Fällen den türkischen Rechtsanwalt A. beauftragt, Aussagen von türkischen Asylsuchenden zu überprüfen und die vorgetragenen Sachverhalte zu recherchieren, denen das BAMF keinen Glauben schenkte. Obwohl das Asylrecht lediglich die „Glaubhaftmachung“ einer politischen Verfolgung verlangt, ging das BAMF mehr und mehr dazu über, Aussagen türkischer und kurdischer Asylsuchender systematisch überprüfen zu lassen, und gefährdete damit fahrlässig und leichtsinnig etliche tausend Geflüchtete und ihre Familien.

Im November 2019 wurde der Vertrauensanwalt der deutschen Botschaft verhaftet. Die Daten der Flüchtlinge wurde im Rahmen der Festnahme des Vertrauensanwalts von den türkischen Strafverfolgern beschlagnahmt. Unter den Betroffenen waren auch ehemalige Parlamentarier:innen. Die türkischen Stellen haben also konkrete Informationen über das Asylverfahren ihrer Staatsbürger, die wegen politischer Verfolgung das Land verlassen mussten. Der Fall erregte bundesweit Aufmerksamkeit.

Das Auswärtige Amt setzte in zahlreichen Fällen, auch in abgeschlossenen Fällen, die hiesigen Verwaltungsgerichte und das Bundesamt davon in Kenntnis, wessen Daten sich nunmehr in den Händen der türkischen Strafverfolger befinden. Die Information erfolgte aber offenkundig nicht flächendeckend, sondern sehr selektiv: Das Bundesinnenministerium behauptete zunächst, dass nur etwas mehr als 100 Flüchtlinge von den Recherchen betroffen seien. Offiziell eingeräumt werden von den Behörden inzwischen 1430 Betroffene. Der Flüchtlingsrat geht weiterhin davon aus, dass von den Recherchen mehr als 4000 Flüchtlinge aus der Türkei betroffen sind.

siehe auch: Presseerklärung vom 26.02.2021: Türkei-Skandal: Bundesregierung lässt Geflüchtete ohne Schutz

 



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