[Extern] Statement von Bewohner*innen und vom Antirassistischen Netzwerk Sachsen-Anhalt zur Gewalt in der ZASt Halberstadt

Das Antirassistische Netzwerk Sachsen-Anhalt hat in einer öffentlichen Erklärung aktuelle Schilderungen und Forderungen der ZASt-Bewohner*innen aufgegriffen und eine Kritik an Lagerunterbringung formuliert, die wir explizit unterstützen:

 

Die Gewalt ist strukturell!

Statement von Bewohner*innen und vom Antirassistischen Netzwerk Sachsen-Anhalt zur Gewalt in der ZASt Halberstadt

In der Nacht von Sonntag auf Montag kam es in der „Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt)“ in Halberstadt zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen einigen Bewohner*innen. Diese Ereignisse wurden von der Presse polarisierend dargestellt und insbesondere Rechte schlachten die Vorkommnisse aus.
Unbeachtet bleibt jedoch, welchen Umständen Geflüchtete – nicht nur während der Corona-Pandemie – ausgesetzt sind: keine Privatsphäre, kein selbstbestimmter Alltag, Angst und Isolation prägen das Leben im Lager. Und zwar immer. 


Aus struktureller Gewalt wird körperliche Gewalt
Physische Auseinandersetzungen in Lagern sind allgegenwärtig und eine logische Konsequenz: Eine Flucht nach Europa ist eine Aneinanderreihung extrem belastender Momente, denen eine potentiell traumatische Situation im Heimatland vorausgeht. In Europa angekommen, werden Menschen mit teils jahrelanger Gewalterfahrung beengt in Camps und Lagern untergebracht, in Ungewissheit und ohne die Möglichkeit, Erlebtes zu verarbeiten. Ohne nötige Gesundheits- und Hygienemaßnahmen, die Möglichkeit, Essen selbst zuzubereiten oder Gegenstände des täglichen Gebrauchs selbst einzukaufen, erleben Geflüchtete in Lagern insbesondere die Quarantäne-Maßnahmen als unhaltbar. Extreme psychische Belastung und Anspannung kann dann zu körperlichen Auseinandersetzungen führen – unabhängig von Pass und Herkunft. Zu beobachten ist schließlich auch, dass seit der Corona-Pandemie Frauenhäuser aus allen Nähten platzen und häusliche Gewalt auch in deutschen Haushalten eine massive Gefahr darstellt. 


Mangelhafte Versorgung, chaotische Zustände und Infektionsgefahr in der ZASt

Die Situation in Halberstadt ist zurzeit besonders angespannt. Auf engstem Raum und bei schlechter Versorgung sind die Bewohner*innen dauerhaft isoliert und einer Ansteckung mit dem Corona-Virus ausgesetzt. Sie befinden sich seit dem 27. März dauerhaft in Quarantäne. Die Situation im Lager war schon vor der Corona-Pandemie schwer zu ertragen. Viele der über 800 Bewohner*innen sind schon seit Monaten dort untergebracht und berichten von Gewalt durch Polizei und Securities, von der ständigen Bedrohung durch Abschiebung, von Traumata, Angst, Isolation und Perspektivlosigkeit. Vier bis sechs Menschen teilen sich ein Zimmer, 850 Menschen teilen sich wenige Duschen, Toiletten und Küchen. 
Die schlechte Versorgungslage wurde auch nach den Protesten der letzten Wochen nicht behoben. Es fehlt noch immer an Grundnahrungsmitteln und Hygiene-Artikeln. Das Schlimmste wird gegenwärtig noch durch Spenden von verschiedensten Organisationen und Einzelpersonen abgewendet. Allerdings kann das keine Dauerlösung sein.



Isolation, Angst und Gewalt prägen den Alltag

Die Geflüchteten werden im Lager isoliert und eingesperrt. Sie fühlen sich wie Häftlinge. Gleichzeitig wird der Kontakt zu solidarischen Menschen und Unterstützungsstrukturen verhindert. Schließlich sind es diese Strukturen, die den reibungslosen Ablauf der Gewalt und Entrechtung stören und die Stimme und Forderungen der Bewohner*innen sichtbar machen.

Ein Bewohner der ZASt schildert die Situation so:
„Das Lager muss geschlossen werden oder die Gesetze müssen geändert werden. Das Leben in diesem beschissenen Lager ist nicht gut für die eigene körperliche und psychische Gesundheit. Vor allem für Erwachsene mit Familie und Kindern, die ein würdiges Leben führen wollen.
Die meisten Menschen kommen gesund an und wenn sie hier wie Hunde zusammengesteckt werden, werden sie krank, wegen der unannehmbaren Toiletten und Duschen. Teilweise teilen täglich 500 Menschen 3 Toiletten, das ist ungesund und unmenschlich.
Im ganzen Block A funktionieren seit drei Monaten nur noch zwei Toiletten und nichts wird getan, um das zu ändern. Und wenn die Leute wütend oder frustriert sind, schickt die deutsche Regierung Polizei, statt mit den Asylsuchenden zu kommunizieren.“


Nein zum Lager – in Halberstadt und überall

Dass es in dieser Situation früher oder später zu gewaltvollen Auseinandersetzungen auch unter Bewohner*innen kommen würde, war absehbar und hätte durch eine dezentrale Unterbringung womöglich verhindert werden können. Nur ein Bruchteil der Bewohner*innen war an diesen Auseinandersetzungen beteiligt und das daraus entstehende Bedrohungsgefühl ist vor allem für vulnerable Personengruppen wie Frauen*, Kinder, Homosexuelle, Trans* und ethnische Minderheiten belastend.

Es ist besonders wichtig, jetzt solidarisch zu sein, Stereotypisierungen zurückzuweisen und abermals auf die untragbaren Zustände in der ZASt aufmerksam zu machen: die Gewalt geht nicht von den Bewohner*innen der ZASt aus – die Gewalt entsteht durch und im Lager!
Gegen jede Form von Lagerunterbringung, dezentrale Unterbringung jetzt – wir fordern die Schließung der ZASt und aller anderen Lager!
Weitere Informationen zur aktuellen Situation in der ZASt:

http://antiranetlsa.blogsport.de



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