Dokumentation des Fachgesprächs zur Unterbringung und Betreuung von geflüchteten Menschen in Sachsen-Anhalt

Am 30. Mai 2018 fand in Magdeburg das Fachgespräch »Menschenrechtskonform und bedarfsorientiert?« zur Unterbringung und Betreuung von geflüchteten Menschen in Sachsen-Anhalt statt.

Organisiert wurde das Fachgespräch vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt in Kooperation mit dem Runden Tisch für Zuwanderung und Integration, gegen Rassismus.

Circa 50 Vertreter*innen aus der kommunalen Verwaltungen, von Ministerien, Landespolitik, Wohlfahrtsverbänden und der Flüchtlingsunterstützung tauschten sich über die aktuelle Situation von geflüchteten Menschen, die in Sachsen-Anhalt leben, aus und diskutierten Bedarfe, Forderungen und erfolgreiche Konzepte.

Die Beiträge können in der nun veröffentlichten Dokumentation nachgelesen werden.

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Die Moderation des Fachgesprächs oblag Tom Bruchholz, Geschäftsführer des Landesjugendwerk der AWO Sachsen-Anhalt.

Eröffnet wurde die Veranstaltung durch ein Grußwort von Susi Möbbeck, Staatssekretärin im Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration. Sie machte deutlich, dass sich bei der Unterbringung und dem Schutz von Frauen und Kindern bereits einige Verbesserungen verwirklichen ließen. In der Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle, auch für die Jugendhilfe, die in Zuständigkeit ihres Ministeriums fällt, sieht sie eine wichtige Aufgabe für die Zukunft.

Claudia Engelmann vom Deutschen Institut für Menschenrechte fasste in ihrem Vortrag den aktuellen Bericht zur Menschenrechtssituation in Deutschland zusammen, der sich mit der menschenrechtskonformen Ausgestaltung des Zusammenlebens in Gemeinschaftsunterkünften beschäftigt. In der Studie wurden u.a. folgende Probleme identifiziert: durch fehlende Regelungen kommt es zu Willkür und Machtmissbrauch, es mangelt an niedrigschwelligen und vertraulichen Beschwerdemöglichkeiten und nach wie vor fehlen Verfahren zur Identifikation von besonders schutzbedürftigen Personen. Die in den Unterkünften bestehenden Regelungen müssen überprüft bzw. überarbeitet werden, damit sie grund- und menschenrechtlichen Standards entsprechen.

Stefanie Mürbe, Projektleiterin in der »Landesinfostelle Flucht & Asyl« (Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt) sprach über die Entwicklungen bei der Unterbringung und Betreuung in Sachsen-Anhalt und warf Schlaglichter auf die kommunale Praxis, die der Flüchtlingsrat durch die Besuche vor Ort und in Gesprächen mit Bewohner*innen, Mitarbeiter*innen und Entscheidungsträger*innen gewinnen konnte. Dabei identifizierte sie bestehende Probleme und gab entsprechende Empfehlungen. Angesichts der Verschiebungen des öffentlichen und politischen Diskurses in Richtung Kosten, Sicherheit und Abschiebungen äußerte sie, dass die Gefahr eines Rollbacks in Sachen Unterbringung und Betreuung drohe. So fänden in den letzten Jahren entworfene Konzepte und Mindeststandards immer weniger Eingang in die Aushandlungen rund um Unterbringung und Betreuung.

Dramane Touré, der bis zur Schließung der Gemeinschaftsunterkunft Möhlau in der Geflüchteteninitiative Wittenberg aktiv war, selbst viele Jahre in Vockerode lebte und heute viele Menschen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, betreut und unterstützt, schilderte, was es bedeutet in einem Lager zu leben. Er machte deutlich, dass es für alle, aber besonders für Familien mit Kindern, eine extreme Belastung und Stress bedeutet. Viele Menschen werden durch die Isolation, die Enge und Lautstärke krank. Er appellierte an die Verantwortlichen, dass Kinder nicht länger in Lagern leben dürfen.

Cynthia Zimmermann, Mitarbeiterin in der »Landesinfostelle Flucht & Asyl« (Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt), berichtete aus der Arbeit mit besonders schutzbedürftigen Geflüchteten, darunter Frauen, Kinder, junge Volljährige und LSBTI*. Dabei fokussierte sie sich auf die hauptsächlichen Herausforderungen und Probleme in Bezug auf Unterbringung und formulierte Anregungen für Verbesserungen. Zum Abschluss teilte sie Statements von geflüchteten Frauen zur eigenen Unterbringungssituation in Sachsen-Anhalt mit den Anwesenden.

Varsenik Minasyan, Projektleiterin im Modellprojekt »Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften« (Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt) stellte die Ziele und Maßnahmen zur Erarbeitung und Umsetzung von Gewaltschutzkonzepten in Gemeinschaftsunterkünften im Salzlandkreis vor.

In der abschließenden Diskussionsrunde mit Dr. René Seidel, Referent im Ministerium für Inneres und Sport und den Referentinnen konnten weitere Aspekte zur Unterbringung und Betreuung angesprochen werden. Die Vertreter*innen des Flüchtlingsrates begrüßten die Ankündigung, dass das Landesaufnahmegesetz entsprechend der Koalitionsvereinbarung überarbeitet werde und fortan der dezentralen Unterbringung Vorrang gegeben werde. Kritisiert wurde, dass auf die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften nicht gänzlich verzichtet und diese häufig als Sanktionspraxis angewendet werde. Hingewiesen wurde auf den besonderen Schutzbedarf von LSBTI*-Geflüchteten, der aktuell zu wenig Beachtung findet. Es wurde angemerkt, dass bei der Identifikation und Unterstützung von vulnerablen Personen zwar schon einige Schritte gegangen wurden, dass es aber auch noch großen Handlungsbedarf gebe. Um eine menschrechtskonforme und bedarfsorientierte Unterbringung und Betreuung von geflüchteten Menschen in Sachsen-Anhalt zu gewährleisten, sollte die Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung und unabhängigen Expert*innen fortgeführt werden.

Wir wünschen eine anregende Lektüre, freuen uns über Rückmeldungen und stehen wir Fragen und Austausch gern zur Verfügung.



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