[Handreichung] Die Duldung für „Personen mit ungeklärter Identität“ – Erläuterungen für die Beratungspraxis zu den Anwendungshinweisen des BMI zu § 60b AufenthG –

Titelbild: Die Duldung für „Personen mit ungeklärter Identität“ Herausgegeben vom Paritätischen Gesamtverband (Mai 2020)

[Kurzübersicht s.u.]

„Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) hat mit Datum vom 14. April 2020 Anwendungshinweise zu § 60b AufenthG (Duldung für Personen mit ungeklärter Identität – sog. „Duldung light“) veröffentlicht und an die Länder verschickt.

In unserer Publikation finden Sie einige Hinweise zu ausgewählten Aspekten der Anwendungshinweise, die für die Beratungspraxis von besonderer Bedeutung sind. Darüber hinaus sollten die vollständigen Anwendungshinweise des BMI sorgfältig gelesen und im Einzelfall herangezogen werden.

Auch wenn die Anwendungshinweise für sich gesehen nicht rechtlich verbindlich sind, werden sie in der Praxis absehbar eine große Rolle spielen. Kirsten Eichler von der GGUA hat aus diesem Grund Erläuterungen für die Beratungspraxis verfasst, die auf die aus unserer Sicht wichtigsten Aspekte der Anwendungshinweise eingehen.
Weitere wertvolle Hinweise zu Literatur und Rechtsprechung zu Fragen der Mitwirkungspflichten, Hinweispflichten und der Kausalität von selbstverschuldeten Abschiebungshindernissen können Sie der Rechtsprechungsübersicht von Lea Rosenberg vom Landesverband Hessen entnehmen.“

 

Kurzübersicht Anwendungshinweise Duldung Light

  • Wenn die Unmöglichkeit der Abschiebung verschuldet ist, also eine Täuschungshandlung oder eine Verletzung der Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung vorliegt, muss die Duldung light ausgestellt werden. Den Behörden steht kein Ermessen zu.
  • Ist die Täuschung/Nicht-Mitwirkung zumindest mitursächlich für die Unmöglichkeit der Abschiebung, kommt es auch beim Vorliegen weiterer Duldungsgründe zur Duldung light. Diesen Punkt haben wir bereits im Gesetzgebungsverfahren kritisiert. Wirkt jemand nicht mit, hat aber gleichzeitig Sorgerechtspflichten in Deutschland, wiegt die Nicht-Mitwirkung dann schwerer, da sie (auch) ursächlich ist für die Unmöglichkeit der Abschiebung? Laut Anwendungshinweise soll die Duldung light ausgestellt werden, wenn dafür ein ausreichender Grund gegeben ist. Was ein ausreichender Grund ist, wird nicht geregelt.
  • Außerdem wird in den Anwendungshinweisen erklärt, was genau eine Täuschungshandlung ist. So ist bspw. bloßes Schweigen nicht als Täuschung zu werten, abgesehen von dem Verschweigen einer Staatsangehörigkeit. Verschiedene Schreibweisen desselben Namens sind unschädlich.
  • Falsche Angaben müssen dem Betroffenen zuzurechnen sein, um den Tatbestand der Täuschungshandlung zu erfüllen. Nur eigens oder die durch eine beauftragte Person (z.B. Rechtsanwalt) gemachte Angaben sind dem Betroffenen selbst zurechenbar. Beispielsweise Angaben, die die Eltern machen, können dem Betroffenen nicht zugerechnet werden (es sei denn, er bestätigt sie). Ebenfalls nicht dem Ausländer zuzurechnen sind objektiv falsche Daten, die in der Behörde generiert worden sind, etwa auf Grund fehlerhafter Zuordnung von Aliaspersonalien aus Datenbankabgleichen.
  • Bloßes Schweigen ist keine Täuschung, auch nicht wenn die Behörde den Betroffenen über falsch registrierte Angaben unterrichtet und er daraufhin schweigt. Das Verschweigen einer Staatsangehörigkeit wird wiederrum als Täuschung gewertet, wenn die Frage nach allen Staatsangehörigkeiten gestellt wurde.
  • Die Täuschung muss gegenwärtig sein. Bereits wenn der Behörde die richtigen Angaben bekannt sind, entfällt die Täuschung. Dann entfällt auch die Ursächlichkeit.
  • Für die Annahme einer Täuschung ist es nicht erforderlich, dass die Behörde die richtigen Daten kennt. Es genügt, dass feststeht, dass die vom Ausländer selbst gemachten Angaben falsch sind. Letzteres ist vor allem der Fall, wenn der Ausländer einander widersprechende Angaben gemacht hat, z.B. gegenüber verschiedenen Behörden verschiedene Identitätsangaben verwendet.
  • Die besondere Passbeschaffungspflicht besteht auch, wenn der Betroffene noch nicht dazu aufgefordert wurde.
  • Für die Erfüllung der Passbeschaffungspflicht muss der Pass oder Passersatz aus dem Herkunftsland nicht dem Normzweck nach vom BMI anerkannt sein. Geschuldet wird vom Ausländer nur das umfassende und nachweisliche Bemühen um die Beschaffung eines Passes oder Passersatzes, nicht der Erfolg, dass ein Pass oder Passersatz tatsächlich ausgestellt wird.
  • Die zumutbaren Handlungen zur Passbeschaffung entsprechen den Mitwirkungshandlungen der §§ 6 und 15 des deutschen Passgesetzes.
  • Macht der Ausreisepflichtige eine unzumutbare Härte geltend, weil infolge des Kontakts mit Stellen des Herkunftsstaats Dritte im Herkunftsstaat konkret gefährdet würden, hat er dies gegenüber der Ausländerbehörde zu belegen. Es ist regelmäßig zumutbar, geeignete Personen im Herkunftsstaat oder in Drittstaaten mit der Beschaffung von Dokumenten oder der Erledigung anderer behördlicher Kontakte zu befassen. Die Kosten hat der Betroffene zu tragen. Eine Unzumutbarkeit liegt nicht allein auf Grund des Umstandes vor, dass der Betroffene die Kosten der Passbeschaffung nicht begleichen kann. Bei der Feststellung der individuellen Zumutbarkeit ist zu berücksichtigen, ob und in welchem Umfang die ausreisepflichtige Person eine vollständige oder teilweise Erstattung durch Dritte (zum Beispiel bei Vorliegen einer Verpflichtungserklärung) oder aus öffentlichen Mitteln erhalten kann.
  • Auch die weiteren als zumutbar geltenden Mitwirkungshandlungen werden in den Anwendungshinweisen näher erläutert (Teilnahme an Verwaltungsverfahren des Herkunftsstaates, Freiwilligkeitserklärung, Erklärung zur Erfüllung der Wehrpflicht, Gebührenzahlung und Pflicht zur Wiederholung von Handlungen zur Passbeschaffung).
  • Eine Erklärung zu unzumutbaren Pflichten im Herkunftsstaat ist niemals erforderlich, z.B. zur Ableistung eines unzumutbaren Kriegsdienstes im Herkunftsland.
  • Von vornherein nutzlose Wiederholungen der Passbeschaffungshandlungen können nicht verlangt werden. Voraussetzung ist eine Änderung der Sach- und Rechtslage gegenüber dem ersten erfolglosen Versuch.
  • Die Ausländerbehörden sind verpflichtet, die Betroffenen auf die oben genannten Pflichten hinzuweisen. Der Hinweis muss detailliert sein, die Form ist allerdings der ABH überlassen. Wie oben bereits erwähnt, hat der Hinweis jedoch keine Auswirkungen auf das Bestehen der Passbeschaffungspflicht; diese besteht auch ohne den Hinweis darauf. Allerdings ist das Unterlassen des Hinweises rechtswidrig.
  • Der Betroffene muss glaubhaft machen, dass er die oben genannten Mitwirkungshandlungen (ohne Erfolg) getätigt hat. Glaubhaft gemacht ist eine Behauptung, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft. Sie richtet sich nach § 294 ZPO. Sind die bisherigen Darlegungen und Nachweise für eine Glaubhaftmachung nicht ausreichend, gibt es Möglichkeit, die Glaubhaftmachung durch eine Erklärung an Eides Statt vornehmen zu lassen. Auch nach der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung ist die besondere Passbeschaffungspflicht nicht zwingend und stets als erfüllt anzusehen. Die Versicherung an Eides Statt geht ebenso wie alle anderen beigebrachten Belege und Nachweise in die Gesamtwürdigung des Vortrages des Betroffenen ein.
  • Im letzten Teil der Anwendungshinweise werden nochmal die Rechtsfolgen der Duldung light (Arbeitsverbot, Wohnsitzauflage, Nichtanrechnung der Aufenthaltszeiten) detailliert beschrieben; diese treten unmittelbar mit der Erteilung der Duldung mit dem schriftlichen Zusatz „mit ungeklärter Identität“ ein.


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