[PM] Wer jetzt die geflüchteten Menschen vergisst, gefährdet uns alle.

Pressemitteilung, 19.03.2020

Der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt fordert, dass von Bund und Ländern das Leben geflüchteter Menschen in Deutschland, wie auch in der Türkei und in Griechenland vor der CoVID-19 (»Corona«) geschützt wird.

Magdeburg/Halle. Die Folgen der CoVID-19-Pandemie bedroht in schwerem Maße geflüchtete Menschen. Ob an der türkischen Grenze, auf Lesbos oder in deutschen Lagern – die Lebensumstände von geflüchteten Menschen sind an vielen Orten katastrophal und können in Zeiten von Corona noch tödlicher sein.

»Menschen sind nicht allein aus medizinischer Sicht bedroht, sie könnten schlichtweg vergessen werden! Die überproportionale Aufmerksamkeit auf die hiesigen Umstände drängt ihre Lage noch mehr aus dem allgemeinen Bewusstsein«, sorgt sich Georg Schütze vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt.

An der türkisch-griechischen Grenze und auf griechischen Inseln harren Geflüchtete weiterhin unter schlimmsten Bedingungen aus. Doch durch die schlechten Hygenebedingungen und die fehlende medizinische Versorgung wird sich dort Corona schnell verbreiten und viele Leben kosten.

»Wo deutsche Urlauber*innen für mehrere Millionen Euro nach Deutschland geholt werden sollen, kann die Ausrede, es gebe keinen Weg, die Menschen aus den griechischen Lagern zu retten, nicht gelten. Dieses Wegschauen und Verdrängen muss beendet werden. In Zeiten großer Not ist umso größere Solidarität nötig!« mahnt Schütze. »Wir fordern von der Politik ein schnelles Handeln, das die Lebenssituation von geflüchteten Menschen verbessert. Konkret braucht es an der türkisch-griechischen Grenze und in Lagern wie Moria finanzielle Unterstützung und Hilfslieferungen. Zudem müssen Menschen von dort in Deutschland aufgenommen werden.«

Aber auch innerhalb Deutschlands leben geflüchtete Menschen in den Lagern auf engem Raum, haben schlechten Zugang zu Informationen und wie medizinischer Versorgung. Dies erleichtert eine Verbreitung der Viren enorm.

»Die Corona-Pandemie wird besonders diejenigen treffen, die jetzt schon unter schlechten Umständen leben müssen.«, erklärt Georg Schütze. Neben kranken, armen und obdachlosen Menschen sind es gerade geflüchtete Menschen, die der Bedrohung durch den Virus stark ausgeliefert sind. Besonders in den Unterkünften muss die Belegung entzerrt werden, damit das notwendige soziale Distanzieren auch funktionieren kann. Auch muss für ausreichend Hygiene und Rückzugsräume für Risikogruppen gesorgt werden. Behördenbesuche, Abschiebungen und Abschiebehaft sind auszusetzen.

Georg Schütze resümiert: »Ganz einfach gesagt: Wer jetzt nicht auch an die geflüchteten Menschen denkt, vergisst und gefährdet alle hier lebenden Menschen! Die Gesundheit und das Leben muss im Vordergrund stehen und dafür sollten alle notwendigen Maßnahmen getroffen werden.«

Folgende Maßnahmen sind unabdingbar, um die Ausbreitung von Corona einzudämmen und Leben zu schützen:

1. Aufnahme von Geflüchteten

An der türkisch-griechischen Grenze und in den überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln leben Menschen ohne ausreichend Versorgung an Medizin, Nahrung und Sanitärbedarf. Verbreitet sich auch dort der Virus weiter, wird die Krankheit viele Menschen das Leben kosten.

Wir fordern daher die Situation an diesen Orten zu entschärfen und Menschen nach Deutschland aufzunehmen. Zudem braucht es schnelle Unterstützung durch Gelder und Güter.

2. Gesundheitsversorgung

In Deutschland haben geflüchtete Menschen einen erschwerten Zugang zu medizinischer Versorgung. Diesen gilt es gerade in Zeiten von Corona deutlich zu vereinfachen.

Die Behandlung darf nicht vom Vorliegen eines Krankenscheins nach AsylbLG abhängig gemacht werden. Es braucht einen unbürokratischen Zugang zu regulärer Versorgung für Alle auch für illegalisierte Menschen und Personen ohne Krankenversicherung.

3. Hygiene

In allen Unterkünften ist dafür zu sorgen, dass die Hygienestandards hochgehalten werden. Dafür muss die Reinigungsfrequenz erhöht werden und eine Desinfektion wie zum Beispiel von Türklinken und Wascharmaturen eingeführt werden.

4. Zugang zu Informationen

Schon in der deutschen Bevölkerung herrscht Verunsicherung über die Situation der Krise. Das gilt um so mehr für Menschen, die durch geringe Deutschkenntnisse von dem Informationsfluss abgetrennt sind.

Hier muss von Bund und Ländern dafür gesorgt werden, dass für die Menschen in und außerhalb der Unterkünfte auch niedrigschwellig verständliches Informationsmaterial zur Verfügung steht.

5. Bürokratisch Maßnahmen mit Personenkontakt aussetzen

Jeder Besuch in einer Behörde und ihren überfüllten Wartesälen birgt das Risiko der Ansteckung und Übertragung. Es gilt daher, Termine mit den Behörden weitestgehend einzustellen und Verfahrensvorgänge online oder postalisch durchzuführen. Aufenthaltsgestattungen, -erlaubnisse und Duldungen müssen vorübergehend unbürokratisch verlängert werden.

6. Abschiebungen stoppen

Abschiebungen bergen, wie auch Reisen, die Gefahr der Verbreitung der Viren und der Ansteckung. Sie sind daher umgehend zu stoppen. PRO ASYL, medico international, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche und das Ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche NRW fordern ebenfalls, Abschiebungen in Herkunftsländer und Überstellungen europaweit grundsätzlich auszusetzen.

7. Abschiebehaft aussetzen

Mit dem Aussetzen von Abschiebungen gilt noch einmal mehr, auch die Abschiebehaft auszusetzen. Menschen dürfen hier nicht unschuldig eingesperrt bleiben.

8. Schaffung von Raum

Geflüchtete müssen in Lagern häufig auf sehr engem Raum miteinander leben. Es braucht besonders jetzt Schaffung von Wohnraum, um die Ansteckungsgefahr von Mitbewohner*innen zu reduzieren.

Dafür sind im Notfall auch zusätzliche Räume anzumieten. In ganz besonderem Maße gilt dies für Menschen aus Risikogruppen. Diesen muss schnellstens ermöglicht werden, sich in einen geeigneten Schutzraum zurückziehen zu können.



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