PM Geschlossene Gesellschaft im Saalekreis: Wo sind die Stimmen der Betroffenen?

Geschlossene Gesellschaft: Wo sind die Stimmen der Betroffenen?

Während im Saalekreis über die Unterbringung geflüchteter Familien gestritten wird, finden
deren eigene Vorstellungen in der Öffentlichkeit keine Beachtung.

 

Halle (Saale). Wie die Mitteldeutsche Zeitung am Freitag, 16.03.18 berichtete, wird im Saalekreis derzeit über die Unterbringung von 21 Familien geflüchteter Menschen in Merseburg-West gestritten. Streitparteien sind der Kreistag, die Kreisverwaltung, aber auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Aufmärschen, unter ihnen der Vize-Präsident des Landtags, Willi Mittelstädt von der völkisch-nationalistischen AfD sowie der ehemalige Neonazi-Kader Sven Liebich. Georg Schütze, ein Sprecher des Flüchtlingsrats Sachsen-Anhalt, fasst den Streit zusammen: »Zwischen Politik und Verwaltung scheinen im Moment kaum mehr als wechselseitige Vorwürfe und Abwälzung von Verantwortung auf die jeweils andere Seite stattzufinden. Auffällig abwesend in der Diskussion sind erneut die Stimmen und Perspektiven der geflüchteten Menschen selbst. Erfreulich ist zwar, dass einzelne Mitglieder des Kreistags kritisch sind und auf mögliche Kindeswohlgefährdung im Zuge unnötiger Umverteilungen hinweisen – doch die dominante Linie im Streit spiegelt in unseren Augen eine Missachtung der Wünsche und Bedarfe der betroffenen Familien wider.«

Die Inklusion der Perspektiven geflüchteter Personen ist auch ein Weg, der rassistischen Stimmungsmache entgegenzuwirken, die von den gegenwärtigen Aufmärschen ausgeht. Wenn solche Probleme nicht konsequent behandelt werden, besteht die Gefahr, dass Stimmungsmache in Taten umgemünzt wird. Schütze vom Flüchtlingsrat ergänzt: »Konkret könnte auch eine klare Haltung des Vermieters helfen, sowie die Förderung und Begleitung des gegenseitigen Kennenlernens oder die Stärkung einer lebendigen Nachbarschaft. So werden unbegründete Ängste gemildert und böswilliger Instrumentalisierung durch Nazis und völkische Gruppen wird der Nährboden genommen.«

Der Flüchtlingsrat begrüßt die augenscheinliche Abkehr von zentralisierenden Unterbringungsformen wie Sammellagern und sogenannten Gemeinschaftsunterkünften. »Für ein selbstbestimmtes und gutes Leben ist eine eigene Wohnung und der gesicherte Zugang zu Beratungsangeboten essentiell«, kommentiert Schütze. Darüber hinaus hat selbstverständlich jede Person und jede Familie eigene Vorstellungen und spezifische Bedürfnisse, die Berücksichtigung bei der möglichst eigenverantwortlichen Unterbringung finden müssen. Schütze gibt darüber hinaus Hinweise: »Unter menschenrechtlichen wie auch gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten ist eine gänzlich selbstbestimmte Wahl des Wohnorts absolut notwendig. Die Tatsache, dass vielerorts auf Grundlage vom Aufenthaltsstatus so tiefgreifend über das Leben von Menschen bestimmt wird, ist unerträglich.«

Der Flüchtlingsrat fordert Verwaltung und Kreistag im Saalekreis auf, die Perspektiven der betroffenen Personen und Familien anzuhören und zu berücksichtigen und im Zweifelsfall von der zwangsweisen Umverteilung abzusehen. Rassistische Proteste müssen zudem als solche benannt und konsequent bearbeitet werden.

Pressekontakt: Flüchtlingsrat Büro Halle | 0345 44502521 | georg.schuetze@fluechtlingsrat-lsa.de



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